Ausschreitungen in Tunesien: EU und UNO müssen Druck auf tunesische Regierung erhöhen

Ausschreitungen in Tunesien: EU und UNO müssen Druck auf tunesische Regierung erhöhen

UPDATE  Übergangsregierung muss Pressefreiheit garantieren /
Deutsch-französischer Fotograf schwer verletzt

Gemeinsam mit vier weiteren Menschenrechtsorganisationen
verurteilt Reporter ohne Grenzen (ROG) die Niederschlagung der
Protestbewegung in Tunesien. Gleichzeitig fordern ROG, das
“Euro-Mediterranean Human Rights Network” (EMHRN), die “International
Federation for Human Rights” (FIDH), die “World Organisation Against
Torture” (OMCT) und das “Cairo Institute for Human Rights Studies” (CIHRS)
die Europäische Union und die Vereinten Nationen zu einer nachdrücklichen
Reaktion auf die Gewalt auf.

Die dramatische Entwicklung in dem nordafrikanischen Land sei höchst
besorgniserregend, so die Nichtregierungsorganisationen. Dort fände eine
gewalttätige und blindwütige Unterdrückung einer breiten Protestbewegung
statt, die soziale Ungerechtigkeit, Korruption sowie die Verweigerung von
Grundfreiheiten anprangert. In einem Forderungskatalog verlangt das
NGO-Bündnis unter anderem die Aussetzung der derzeitigen Verhandlungen der
EU mit Tunesien über eine Ausweitung der gemeinsamen Partnerschaft im Rahmen
der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP).


Die Organisationen verurteilen mit großer Entschiedenheit die schweren,
unverhältnismäßigen und systematischen Verstöße gegen die Menschenrechte bei
der Unterdrückung der Proteste. Die Gruppe kritisiert insbesondere die
Anwendung von Waffengewalt durch Polizeieinheiten gegen unbewaffnete
Zivilisten. Mindestens 23 Menschen sind bei den Zusammenstößen ums Leben
gekommen, Hunderte Demonstranten, Aktivisten und Berichterstatter wurden
willkürlich verhaftet, inhaftierte politische Häftlinge wurden misshandelt
und gefoltert.

Seit den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Oktober 2009 in Tunesien
beobachten die fünf Organisationen eine deutliche Verschlechterung der
Menschenrechtssituation in dem nordafrikanischen Land. Die tunesische
Regierung weigert sich, ihre internationalen Verpflichtungen, namentlich bei
der Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, einzuhalten.

Das Organisationenbündnis fordert die Europäische Union und die Vereinten
Nationen mit Nachdruck auf, Konsequenzen aus der abwehrenden Haltung der
Regierung unter Präsident Zine el Abidine Ben Ali zu ziehen. “Wir fordern
die internationale Gemeinschaft insbesondere die UNO und EU auf, eine
geschlossene Position gegenüber der tunesischen Regierung einzunehmen.”
Deren Rechtsverstöße müssten verurteilt und konkrete Maßnahmen und Schritte
von den tunesischen Verhandlungspartnern eingefordert werden.

Die Organisationen appellieren an die internationale Staatengemeinschaft,
folgende Forderungen an die tunesische Regierung zu stellen:

• Die Achtung der Versammlungsfreiheit, vor allem das sofortige Ende der
Gewalt und des Schusswaffengebrauchs von Ordnungskräften gegen
Demonstranten.
• Die Einhaltung der Grundsätze der Meinungsfreiheit.
• Die umgehende und bedingungslose Freilassung aller Personen, insbesondere
von Menschenrechtsverteidigern, Anwälten, Journalisten, Bloggern,
Gewerkschaftern und politischen Persönlichkeiten, die während der
Protestbewegung willkürlich festgenommen wurden sowie ein Ende von
Folterpraktiken und anderer Misshandlungen.
• Die Einsetzung einer nationalen Untersuchungskommission – unabhängig und
unparteilich – mit dem Auftrag, die begangenen Menschenrechtsverletzungen zu
untersuchen (einschließlich der Fälle von außergerichtlichen Exekutionen und
willkürlichen Verhaftungen).
• Die Einrichtung einer internationalen unabhängigen Kommission unter der
Ägide der Vereinten Nationen.
• Die Identifizierung der Verantwortlichen für die Verbrechen und die
Überführung der Täter an die Justiz.
• Die Bewilligung von Schadensersatzzahlungen an die Opfer der Verbrechen
und/oder an ihre Familien.
• Die Aufhebung der Blockade der Berichterstattung tunesischer und
ausländischer Medien, die über die Unruhen informieren möchten.
• Die Aussetzung der Verhandlungen der EU mit Tunesien über die Bewilligung
eines “fortgeschrittenen Status” im Rahmen der ENP, solange keine konkreten
Fortschritte bei der Einhaltung der Menschenrechte im Land erreicht werden –
insbesondere die Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsrecht betreffend.
• Die Garantie der politischen und gewerkschaftlichen Vielfalt, die Achtung
der Eigenständigkeit zivilgesellschaftlicher Organisationen, der
Unabhängigkeit des Gerichtssystems, die Aufhebung der Internetzensur und
Freilassung von politischen Häftlingen.

“Es ist lebenswichtig, dass der tunesische Staat die Menschenrechte und
Grundfreiheiten respektiert und auf Maßnahmen verzichtet, die die Gewalt
schüren könnten”, warnen die Organisationen. Andernfalls werde es keine
Lösung für die aktuelle Krise in Tunesien geben.