Aserbaidschan: Unlauteres Lobbying und Prozesse gegen Journalisten

Aserbaidschan: Unlauteres Lobbying und Prozesse gegen Journalisten

Reporter ohne Grenzen ist entsetzt über die Härte, mit der das aserbaidschanische Regime vor der Präsidentschaftswahl im Herbst gegen Kritiker vorgeht und distanziert sich von unlauteren Versuchen, eine antieuropäische Stimmung im Land zu erzeugen und damit die Opposition zu schwächen. So ist derzeit eine angebliche Studie über den Werteverfall in Europa in Umlauf, die sich auf die Unterstützung von Menschenrechtsorganisationen wie Reporter ohne Grenzen beruft. „Wir haben an dieser Studie – anders als darin behauptet wird – in keiner Weise mitgewirkt und halten es für absolut unverhältnismäßig, Menschenrechtsverletzungen in Deutschland und in Aserbaidschan zu vergleichen”, stellte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr in Berlin klar.

Verfasser der „Studie” ist Eynulla Fatullajew, der als regimekritischer Journalist internationale Bekanntheit erlangte. Als Herausgeber zweier oppositioneller Zeitungen saß er mehr als vier Jahre im Gefängnis, bevor Präsident Ilcham Alijew ihn im Mai 2011 begnadigte. Seither veröffentlicht Fatullajew auffallend regierungsfreundliche Berichte, unter anderem über die Situation politischer Häftlinge in aserbaidschanischen Gefängnissen.


Seine „Studie”, von der sich ROG, Amnesty International und viele weitere darin zitierte Personen distanzierten, stellte Fatullajew im Januar 2013 in Brüssel vor. Wenige Tage später lehnte die Parlamentarische Versammlung des Europarats mit breiter Mehrheit eine Resolution ab, die die Freilassung politischer Gefangener in Aserbaidschan fordert, und verabschiedete lediglich eine allgemeine Erklärung zur Menschenrechtslage dort. Der deutsche Berichterstatter Christoph Strässer führte dies auf die massive Lobbyarbeit von aserbaidschanischer Seite zurück. Die European Stability Initiative hatte diese bereits im Mai 2012 ausführlich unter dem Titel „Kaviardiplomatie” beschrieben. „Dass dafür inzwischen auch ehemalige Regimekritiker eingespannt werden, registrieren wir mit Befremden”, kommentierte ROG-Geschäftsführer Mihr.

Sieben Monate vor den Präsidentschaftswahlen im Oktober stehen kritische Journalisten und Medien in Aserbaidschan enorm unter Druck. Am 12. März verurteilte ein Bakuer Gericht Awas Sejnalli, den Chefredakteur der Zeitung Chural, zu neun Jahren Gefängnis. Er hatte Präsident Ilcham Alijew in seinen Texten wiederholt scharf kritisiert. Weitere Strafverfahren laufen gegen Hilal Mammedow, den Chefredakteur der Minderheitenzeitung Tolischi Sado sowie gegen die beiden Fernsehreporter Vugar Gonagow und Saur Gulijew, die im März 2012 für Chajal TV über gewaltsame Proteste im nordaserbaidschanischen Guba berichtet hatten. Die wichtigste Oppositionszeitung des Landes, Azadliq, steht wegen horrender Geldforderungen in Verleumdungsverfahren vor dem Bankrott. Mitte Februar bekräftigten Gerichte in Baku Strafen in Höhe von insgesamt etwa 62.000 Euro gegen die Zeitung.

Mindestens neun Journalisten wurden am 26. Januar bei nicht genehmigten Straßenprotesten in Baku festgenommen, darunter die für ihre Recherchen über Machtmissbrauch und Korruption bekannte Reporterin Khadija Ismajilowa und der Blogger Emin Milli. Ismajilowa wurde in einem Schnellverfahren ohne ihre Anwälte zu einem Bußgeld von knapp 400 Euro verurteilt, Emin Milli zu 15 Tagen Arrest.

Die Strafen für die Teilnahme an unerlaubten Versammlungen waren bereits vor den Protesten deutlich erhöht worden. Am 11. März unterzeichnete Präsident Alijew weitere Gesetzänderungen, die die Versammlungsfreiheit einschränken und zivilgesellschaftliche Arbeit erschweren. NGOs müssen seither jede Spende von mehr als 200 Manat (ca. 200 Euro) formal genehmigen lassen.

Reporter ohne Grenzen zählt den aserbaidschanischen Präsidenten Ilcham Alijew zu den größten Feinden der Pressefreiheit weltweit . Auf der aktuellen ROG-Rangliste steht das südkaukasische Land auf Platz 156 von 179.